Mit Schaufel und Neugier: Wie Kinder zu kleinen Wissenschaftler*innen werden

Warum lohnt es sich, bereits Grundschulkinder an echter Forschung zu beteiligen? Und wie lässt sich das Thema Citizen Science kindgerecht aufbereiten? Darüber haben wir mit Amelie Rebmann und Jennifer Raffler von den Hector Kinderakademien gesprochen.
Erzählt doch gerne mal – was sind die Hector Kinderakademien?
Rebmann: Die Hector Kinderakademien sind ein Förderprogramm für hochbegabte und besonders begabte Grundschulkinder in Baden-Württemberg. Unsere Inhalte gehen weit über den Grundschulunterricht hinaus und sollen den Kindern eine zusätzliche Möglichkeit bieten, sich entfalten zu können. Aktuell nehmen rund 23.000 Kinder an 69 Standorten teil. Das Programm der Hector Kinderakademien wird von der Universität Tübingen und dem DIPF Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt wissenschaftlich begleitet und evaluiert.
Die Hector Kinderakademien haben ein vielfältiges Kursangebot. Wo liegt der Schwerpunkt der Kursthemen?
Raffler: Wir haben einen Fokus auf den MINT-Fächern, es geht also vorrangig um Mathe, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Vereinzelt gibt es Sprachkurse oder Kurse mit kulturellem Fokus. Wir versuchen, vermehrt Curricula in unser Angebot einzubinden, deren Kurse aufeinander aufbauen, von der ersten bis zur vierten Klasse.
Wie können Kinder an den Kursen der Hector Kinderakademien teilnehmen?
Raffler: Die Kinder werden von ihren Lehrkräften an ihren Schulen nominiert. Die Teilnahme ist kostenlos. Während des Schuljahrs finden die Kurse vorrangig in Präsenz, aber auch online, an den 69 Standorten statt.
Rebmann: Und durch unsere zentrale Lernplattform Moodle wollen wir den Kindern auch ermöglichen, an Kursen teilzunehmen, die an ihrem Standort nicht angeboten werden.
Im Kurs „An die Schaufeln, fertig, los!“ führen die teilnehmenden Kinder ein Citizen-Science-Experiment durch. Warum haltet ihr es für sinnvoll, bereits Grundschulkinder an echter Forschung zu beteiligen?
Rebmann: Schon Kinder können hervorragende Forscherinnen und Forscher sein, weil sie so neugierig sind und die Welt entdecken wollen. Neugier ist hierfür der beste Antrieb! Das möchten wir früh fördern. Dieser Neugierde und dem Wissensdurst begegnen wir mit der Möglichkeit durch das Citizen-Science-Projekt unmittelbar in die Rolle von Forschenden zu schlüpfen und aktiv daran teilzunehmen.
Was erwartet die Kinder konkret im Kurs „An die Schaufeln, fertig, los!“?
Raffler: Der Kurs richtet sich an Kinder der dritten und vierten Klasse und besteht aus neun Einheiten zum Thema Klima und Boden. Citizen Science ist eine Komponente dieses Kurses. Die Kinder untersuchen dabei den Boden mit dem sogenannten Tea-Bag-Index und tragen dazu bei, Bodenaktivität und Bodenlebewesen zu erforschen. Sie vergraben dafür zwei verschiedene Teesorten, Roiboos und Grünen Tee. Nach drei Monaten graben sie die Teebeutel wieder aus und senden diese an die Bodenkunde in Tübingen. Dort werden die Bodenproben analysiert und die Ergebnisse in große Datenbanken eingespeist. Hinter dem Kurs steht das didaktische Konzept des „Forschenden Lernens“. Die Kinder sollen eigenständig Fragen formulieren und Antworten auf diese finden. Das besondere an der Citizen-Science-Komponente ist, dass die Kinder in die Rollen von Wissenschaftler*innen schlüpfen und die Daten tatsächlich von der Wissenschaft verwendet werden.
Spielt ihr auch an die Kinder zurück, was mit ihren Daten passiert?
Raffler: Die Ergebniskommunikation ist ein sehr wichtiger Punkt, an dem wir arbeiten. Der Wissensdurst der Kinder endet nicht, nachdem sie die Teebeutel ausgegraben und eingesendet haben. Sie wollen wissen, was sie mit ihrem Beitrag bewirken. Deshalb sind wir dabei entsprechende Kommunikationsmaßnahmen zu entwickeln. Kürzlich haben wir zum zweiten Mal ein „Ask the Scientist“-Format veranstaltet, bei dem die Kinder ihre Fragen direkt an Professor Scholten stellen konnten: Was passiert mit den Teebeuteln? Welche wissenschaftlichen Ergebnisse gab es bisher? Wie geht es weiter? Unsere Herausforderung bei der Ergebniskommunikation ist es, zu vermitteln, dass Wissenschaft Zeit braucht und Daten auf unterschiedlichen Arten ausgewertet werden können, je nachdem was man erfahren möchte.
Wie wird der Citizen-Science-Kurs angenommen?
Rebmann: Vor allem durch die „Ask a Scientist“-Runden haben wir direkten Kontakt zu den Kindern. Es ist jedes Mal toll, zu sehen, wie wissensdurstig sie sind und wie interessiert daran, als kleine Wissenschaftler*innen wirklich einen Impact zu leisten. Auch von den Akademie- und Kursleitungen kam stets positives Feedback. Kursleitungen, die einen Kurs an den Hector Kinderakademien anbieten wollen, müssen zuerst eine Qualifizierungsveranstaltung besuchen, wo sie die Kursmaterialien erhalten und die ganze Kurssitzung durchgehen. Die Veranstaltungen zum Kurs „An die Schaufeln, fertig, los!“ sind immer sehr gut besucht.

Was nehmen die Kinder eurer Erfahrung nach aus der Teilnahme am Citizen-Science-Kurs mit – sowohl inhaltlich als auch persönlich?
Raffler: Sie nehmen in jedem Fall neues Wissen zum Thema Boden, Bodenaktivität und Klimawandel mit. Sprich: Was passiert in der Welt unter unseren Füßen, die für uns größtenteils im Verborgenen liegt? Sie lernen den Forschungszyklus kennen und gewinnen ein Verständnis dafür, wie Wissenschaft funktioniert. Außerdem empfinden sie Stolz, dass sie an so einem Projekt beteiligt sind und echte Wissenschaftler*innen unterstützen mit ihrem Können, so unsere Wahrnehmung. Im besten Fall sind die Kinder nach der Teilnahme am Kurs motiviert, auch in Zukunft bei weiteren Citizen-Science-Projekten mitzumachen und begeistern sich verstärkt für Forschung und Naturwissenschaften.
Im Rahmen der Aktivitäten der Hector Kinderakademien im Bereich der Bürgerforschung habt ihr eine umfangreiche Webseite für Kinder zum Thema Citizen Science erarbeitet. Worauf habt ihr dabei geachtet?
Rebmann: Mit der Seite wollten wir einen Einblick in den Kurs „An die Schaufeln, fertig, los!“ und Citizen Science im Allgemeinen geben. Unsere Vision an den Hector Kinderakademien ist es, mit dem Ansatz das Wissenschaftsverständnis von Kindern zu fördern und sehr früh möglicher Wissenschaftsskepsis entgegenzuwirken. Uns war es total wichtig, die Seite interaktiv zu gestalten und das Thema mit einem kinderfreundlichen Storytelling herunterzubrechen. Das Maskottchen der Hector Kinderakademien, das Eichhörnchen Hasel, führt deshalb durch die Seite. Es war auf alle Fälle eine echte Challenge den wissenschaftlichen Prozess kindgerecht zu vermitteln, hat uns aber wiederum auch große Freude bereitet.

Welche Rolle soll Citizen Science zukünftig in der Programmatik der Hector Kinderakademien spielen?
Rebmann: Da der Kurs so extrem gut angenommen wurden und die Kinder motiviert sind, mit Citizen Science einen Impact zu haben, möchten wir auf jeden Fall noch weitere Kurse entwickeln beziehungsweise mehr Citizen-Science-Komponenten in die Kurscurricula einbinden. Die Themen stehen aktuell aber noch nicht fest.
Welche Empfehlungen würdet ihr anderen Bildungsanbietern geben, die Citizen Science in der Arbeit mit Kindern umsetzen möchten?
Raffler: Es lohnt sich, viel Energie in die Entwicklung von Kommunikationsformaten zu stecken, die Kinder ansprechen und ihnen die Benefits von Citizen Science aufzeigen: Was bietet dieser Kurs? Was ist der Mehrwert, wenn ich mitmache? Was kann ich dabei lernen? Ein weiterer wichtiger Punkt ist es, den Kindern Ergebnisse liefern zu können, sodass sie merken, dass ihr Beitrag einen realen Wert hat.
Rebmann: Und ganz grundsätzlich: Dass es sich lohnt, Zeit und Energie in Citizen Science zu stecken! Allein für die strahlenden Augen der Kinder, wenn sie selbst mitforschen und in die Rolle von Wissenschaftler*innen schlüpfen können, statt nur etwas gezeigt zu bekommen. Die aufgebrachte Zeit lohnt sich allemal.