Direkt zum Inhalt
mit:forschen!

Die Plattform für Citizen-Science-Projekte aus Deutschland: Mitforschen, präsentieren, informieren!

Fragen für die Zukunft der Citizen Science: „Ein sehr guter Weg, den schulischen Alltag zu bereichern”

Foto: Karo Krämer / WiD

Paul Konrad ist Gymnasiallehrer an der Anna-Schmidt-Schule in Frankfurt am Main und macht regelmäßig mit seinen Schüler*innen bei Citizen-Science-Projekten mit. Im Interview berichtet er, welchen Mehrwert die Teilnahme für die Schüler*innen hat, wie sich Citizen Science in den Unterricht integrieren lässt und welche Hürden es dabei gibt.

Erinnern Sie sich, wann Sie das erste Mal von Citizen Science gehört haben?

Konrad: Das muss 2020 gewesen sein. Da habe ich nach Projekten und Material für einen Wahlunterrichtkurs recherchiert, also einen Kurs außerhalb des regulären Fächerkanons. Dabei gibt es kein Curriculum, sondern der Unterricht soll projektorientiert stattfinden. Bei der Recherche bin ich erstmals über Citizen Science gestolpert und über die Plattform mit:forschen!, die damals ja noch Bürger schaffen Wissen hieß. Das habe ich voller Interesse gelesen und verfolgt. Das erste Projekt, bei dem ich dann im Rahmen des Wahlunterrichts teilgenommen habe, war Plastic Pirates.

Was hat Sie dazu bewogen, mit Ihren Schüler*innen an einem Citizen-Science-Projekt teilzunehmen?

Konrad: Gerade im Bereich des Wahlunterrichts ist die Motivation relativ gering, da die Inhalte für die Schüler*innen oft weit weg sind und bei uns auch keine Noten dafür vergeben werden, es gibt also keinen extrinsischen Druck. Ich hab das mit Citizen Science tatsächlich einfach mal ausprobiert und schnell gemerkt, dass es für die Schüler*innen ein unglaubliches Mehr an Motivation bringt, wenn der Bezug in die außerschulische Welt da ist, in die „echte” Welt. Das, was die Schüler*innen tun, bekommt dann nämlich ein ganz anderes Gewicht. In dem Moment, wo man den Kosmos Schule verlässt und in die Realität geht, bekommt das für die Kinder einen anderen Wert – das macht für beide Seiten das Arbeiten und Lernen sehr viel angenehmer. Ich halte Citizen Science für einen sehr, sehr guten Weg, den schulischen Alltag zu bereichern.

An welchen Projekten haben Sie denn bereits mit Schüler*innen teilgenommen?

Konrad: Das sind bei mir aufgrund meines fachlichen Hintergrunds vor allem Projekte im naturwissenschaftlichen Bereich. Aktuell sind wir zum dritten Mal bei FLOW dabei. Mit meiner fünften Klasse haben wir bei Dawn Chorus mitgemacht, mit meiner sechsten bei Plastic Pirates. Außerdem nehmen wir regelmäßig an der Stunde der Gartenvögel und der Stunde der Wintervögel teil.

Wie läuft zum Beispiel die Teilnahme an FLOW ab?

Konrad: Das Projekt FLOW untersucht den Zustand von Fließgewässern. Ich bereite den Aktionstag am Wasser über fünf bis sechs Wochen im Unterricht vor und wir üben die Messmethoden. Dann verbringen wir einen ganzen Schultag am Gewässer und nehmen Proben. Im Anschluss folgen noch zwei Wochen Nachbereitung, wo wir die Daten aufarbeiten. An FLOW nehme ich mit der neunten und zehnten Klasse teil. Mittlerweile mache ich das so, dass die Zehnten, die ja schon im Vorjahr dabei waren, eine Art Mentorenschaft für die Neunten übernehmen. Wenn wir im Feld sind kümmern sich dann zehn Zehntklässler*innen um zehn Neuntklässler*innen und arbeiten sie im Prinzip ein. Das ist bei FLOW nicht grundsätzlich so vorgesehen, klappt aber sehr gut. Die Schüler*innen erfahren dabei Selbstwirksamkeit, denn sie können ihre Kompetenzen direkt an andere weitergeben. 

Zwei Monate Zeit, um sich mit einem Citizen-Science-Projekt zu beschäftigen, haben vermutlich nur wenige Lehrkräfte.

Konrad: Weniger Vorbereitungszeit halte ich im Fall von FLOW nicht für ratsam, weil dann die Datenqualität sinkt und auch die Arbeit vor Ort im Feld nicht funktioniert. Das ist aber das A und O, denn sonst ist die Frustration bei den Kindern sehr hoch und die Motivation sofort weg. Eine gute Vorbereitung ist ganz entscheidend. Deshalb finde ich es toll, dass es mit der aktuellen Aktion #unsereFlüsse von FLOW und der ARD eine abgespeckte Version mit einem Fragebogen zur Struktur von Gewässern gibt, mit dem man mit viel weniger Vorlauf ins Feld gehen kann. Und natürlich gibt es auch andere Citizen-Science-Projekte, wo man mit etwas weniger Vorbereitung starten kann.

Wie kommen die Citizen-Science-Projekte bei den Schüler*innen an?

Konrad: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Motivation der Schüler*innen bei solchen Projekten sehr hoch ist. Man muss es ihnen natürlich schon schmackhaft machen. Die große Kunst ist es, sie aus der Struktur des regulären Unterrichts herauszuholen, bei der man zwei Stunden ein Fach hat, zwei Stunden das nächste und die Einheit dann jeweils abgeschlossen ist. Zu sagen, wir arbeiten jetzt sechs Wochen an diesem Thema und der Fortschritt ist offen. 

Welchen Mehrwert der Teilnahme an Citizen-Science-Projekten sehen Sie für die Schüler*innen?

Konrad: Der größte ist aus meiner Sicht die Erfahrung von Selbstwirksamkeit, im Positiven wie im Negativen. Wenn die Kinder ein Projekt erfolgreich beenden, sind sie unglaublich stolz. Wenn die Kinder sich aber nicht vorbereiten oder bemühen, klappt es nicht und es gibt kein Back-Up. Das bringt mich zum nächsten Punkt: Die Schüler*innen erfahren, dass Experimente scheitern können. Im naturwissenschaftlichen Schulunterricht ist das keine Option, alle Experimente, die wir in Chemie, Geologie oder Physik durchführen, haben einen definierten Ausgang. Das sind Demonstrationsexperimente, die dazu dienen, einen Sachverhalt zu veranschaulichen. Aber die haben nichts mit dem Experimentieren zu tun, das man in der Forschung betreibt, bei dem der Ausgang offen ist und ein von meiner Erwartung abweichendes Ergebnis resultieren kann. Wenn die Schüler*innen bei einem Experiment scheitern, muss man das natürlich aufarbeiten und reflektieren, aber das ist eine wichtige Erfahrung, die sie vorher nicht kennen. Weitere Mehrwerte der Teilnahme an Citizen-Science-Projekten sind echte Team- und Planungsarbeit und das Gewinnen von Einblicken in Zeitgeschehnisse und in Forschungsarbeit. 

Wie funktioniert die Integration von Citizen-Science-Projekten in den Schulunterricht Ihrer Erfahrung nach?

Konrad: Die Integration in den Regelunterricht ist kaum möglich, dafür ist der Lehrplan leider zu eng und dicht gestrickt und das ist sehr schade. Man muss ja Einheiten zur Vor- und Nachbereitung zur Durchführung der Projekte hinzurechnen. Ich habe mehr Freiheiten und Möglichkeiten, weil ich in der fünften und sechsten Klasse AG-Stunden mit einem MINT-Schwerpunkt unterrichte und die Wahlunterrichtkurse in der neunten und zehnten Klasse. Manchmal ist aber auch die Unterstützung der Eltern nötig, denn manche Projekte finden zu festen Zeitpunkten statt, die außerhalb des Unterrichts liegen. Bei Dawn Chorus habe ich mit den Kindern im Unterricht geübt und dann haben sie Tablets mit nach Hause bekommen und einen Elternbrief. Die Kinder haben dann um 5:30 Uhr morgens eine Minute lang den Vogelgesang mit den Tablets aufgenommen – da kam auch relativ viel positives Feedback von den Eltern, die geschrieben haben, das war ganz schön, das mal bewusst zu erleben.

Was braucht es, damit die Integration von Citizen Science in den Unterricht besser klappt?

Konrad: Es braucht vor allem ein bisschen mehr Mut seitens der Schulen, hier Zeiträume zu schaffen. Zum Beispiel mit separaten Kursen, Projekttagen, die alle zwei Wochen stattfinden oder mit AGs, bei denen die Teilnahme dann auf freiwilliger Basis ist. Seitens der Projekte ist es hilfreich, wenn die Materialien gut strukturiert und nicht zu umfangreich sind. Außerdem ist es aufgrund von Datenschutzregelungen immer eine Hürde, wenn man sich irgendwo anmelden muss, zum Beispiel in einer App. Sofern das nicht unbedingt nötig ist, wäre es daher hilfreich, wenn Projekte darauf verzichten. Bei allem Integrationswillen von Citizen-Science-Projekten in die Schule hinein, finde ich es aber wichtig, dass sie nicht wie klassischer Schulunterricht werden, sondern ihren offenen, forschenden Charakter behalten. 

Sie engagieren sich in der AG Citizen Science in Schulen. Was hat Sie dazu motiviert und wie bringen Sie sich dort ein?

Konrad: Ich bin über die Webseite oder den Newsletter von mit:forschen! auf die AG aufmerksam geworden und dachte, das ist eine gute Sache. Ich verbringe viel Zeit mit Citizen Science und es ist es wert, das weiterzuentwickeln. Also habe ich die AG-Sprecher*innen einfach angeschrieben, ob ich mich irgendwo im Rahmen meiner Möglichkeiten einbringen kann. Ich habe zum Beispiel meine Sicht als Lehrer in den Ende 2023 erschienen Leitfaden zu Citizen Science mit Schulen für Projektinitiator*innen eingebracht. Da ist natürlich auch etwas Eigennutz dabei, denn wenn Projekte aktiv bleiben oder sogar besser werden, habe ich Dinge, die ich in meinem Unterricht durchführen kann und die mir und den Kindern Spaß machen.

Was würden Sie Lehrer*innen raten, die auch mal mit einer Klasse an einem Citizen-Science-Projekt teilnehmen möchten?

Konrad: Ich würde dazu raten, sich zunächst einmal ein Thema auszusuchen, das einem selbst gut gefällt. Das macht die Vorbereitung ein bisschen einfacher. Und sich für die erste Teilnahme an einem Projekt Zeit zu nehmen, denn das läuft nicht einfach nebenher. In erster Linie würde ich aber empfehlen, es auf jeden Fall zu tun und mutig zu sein. Nicht davor zurückzuschrecken, auch wenn es am Anfang super viel erscheint. 


Dieser Beitrag ist Teil unserer Jubiläums-Blogreihe „Fragen für die Zukunft der Citizen Science". Hier geht es zur Übersicht der Blogreihe.

Fabienne Wehrle

Fabienne ist Projektmanagerin und Online-Redakteurin. Sie betreut die Plattform, kümmert sich um die Social-Media-Kanäle und ist für die Kommunikation rund um mit:forschen! Gemeinsam Wissen schaffen zuständig.