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Fragen für die Zukunft der Citizen Science: Impulsgeber und Hilfe für Kommunen in Zeiten von Krisen?!

Welches Potenzial Citizen Science im Kontext von kommunalen Beteiligungsmöglichkeiten und der Bewältigung von Krisen hat bzw. haben könnte, war Thema eines Online-Dialogs am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu). In ihrem Beitrag reflektiert Dr. Elke Bojarra-Becker, Team- und Projektleiterin im Forschungsbereich Umwelt am Difu, die Beiträge und Diskussionen der Veranstaltung.

Zunehmend ist die Rede von Dauerkrisen, multiplen Krisen oder aber entgrenzten Krisen in Städten und Kommunen. Doch: bereits vor gut 50 Jahren tagte die Hauptversammlung des Deutschen Städtetages unter der Überschrift „Rettet unsere Städte jetzt!“. In der Folge wurde die Gründung eines Stadtforschungsinstituts beschlossen, um in schwierigen (Krisen-)Zeiten kommunales Wissen zu generieren und zu vernetzen. Damit wurde der Tatsache Rechnung getragen, dass Krisen auf kommunaler Ebene besonders spürbar werden und es dafür auch kommunaler Lösungen bedarf. Welche Rolle die Bürgerschaft bei der Krisenbewältigung spielen sollte oder könnte, stand zunächst weniger im Fokus. 

Jenes Stadtforschungsinstitut – das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) – finanziert sich heute überwiegend über Drittmittel-Projekte und beschäftigt ca. 200 Mitarbeitende unterschiedlicher Disziplinen. Da Citizen Science selten Gegenstand öffentlicher Ausschreibungen ist, wird dieses Thema aktuell am Institut nicht unmittelbar beforscht. Gegenstand von Projekten sind aber u.a. Governance-Ansätze (und damit auch das Miteinander von Kommune, Wissenschaft und (Stadt-)Gesellschaft), Partizipation (und damit Ansätze Bürgerwissen angemessen in kommunale Abläufe zu integrieren) oder aber der generelle Umgang von Kommunen mit Krisen. Neben dem Anspruch generiertes Wissen weiterzugeben, strebt das Institut an, auf virulente Themen hinzuweisen. Citizen Science ist ein solches Thema und wurde im Rahmen eines „Difu-Dialogs“ – ein Online-Format, das sich an die interessierte (Fach-)Öffentlichkeit wendet – aufgegriffen. Dem etwa 90-minütigen Angebot folgten zu der Überschrift: „Citizen Science: Impulsgeber und Hilfe für Kommunen in Zeiten von Krisen“ am 17. April rund 80 Personen. Im Fokus standen unterschiedliche Akteursgruppen und deren Sicht auf Citizen Science sowie ihre Motivation und Erfahrungen mit dem Ansatz auf kommunaler Ebene. Dabei wurden Fragen aufgegriffen, wie: Welchen Beitrag kann Citizen Science bei den aktuellen Herausforderungen leisten? Wie kann ein gutes Miteinander gelingen? Durch wen und mit wem können oder sollen Prozesse in Krisensituationen initiiert werden?

Die zunächst „zuständige“ Instanz ist hier die Verwaltung. Diese stehen in Krisenzeiten nicht selten in der Kritik: zu langsam, zu schwerfällig, zu unflexibel, zu unmotiviert. Abgesehen davon, dass diese Kritik für das Gros der in den Verwaltungen arbeitenden Menschen bei genauerer Betrachtung nicht haltbar ist, kann man die Frage aufwerfen: Ist es wirklich alleine die Verwaltung, die Krisen in den Griff bekommen muss? Braucht es nicht vielmehr das Zusammenspiel von Politik und Verwaltung, Wissenschaft, Bürgerschaft und Wirtschaft, um die komplexen Herausforderungen zu bewältigen? Die Begegnungen zwischen diesen Gruppen finden – bei vielen guten Ansätzen und Bemühungen – aktuell zu wenig und auch zu zufällig statt/Stadt.

Wohl wissend, dass bei den genannten Akteursgruppen sehr unterschiedliche Handlungslogiken, Motivationen oder Rahmenbedingungen zu Grunde liegen, wurden im Rahmen des Difu-Dialogs drei Inputgeberinnen gewonnen, um deren Erfahrungen und Einschätzungen zu beleuchten: 

  • Veneta Gantcheva-Jenn, Leitung Förderungen Hans Sauer Stiftung, Landeshauptstadt München, war als Vertreterin für die Perspektive Zivilgesellschaft eingeladen und stellte das Förderprogramm für den Bereich Citizen Science vor.
  • Für die Perspektive Hochschule / Wissenschaft gab Prof. Dr. Stefanie Molthagen-Schnöring, Vizepräsidentin für Forschung, Transfer & Wissenschaftskommunikation an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, Einblicke in die Arbeit von „Spree x Reallabor für Klimakompetenz” und die Transferaktivitäten fünf Berliner Hochschulen im Netzwerk „Zukunft findet Stadt”. Sie war außerdem Jury-Mitglied im Citizen-Science-Wettbewerb „Auf die Plätze! Citizen Science in deiner Stadt!“.
  • Derya Yildirim, Bildungsbüro, Stadt Nürnberg, nahm als Vertreterin der Perspektive Kommune teil und stellte das Citizen-Science-Projekte Nürnberg forscht vor.

In den Beiträgen und dem nachfolgenden Austausch kam durchaus die Frage auf, wo denn nun Bürgerbeteiligung aufhört und Citizen Science anfängt. Sicherlich ist hier nicht immer eine klare Trennlinie zu ziehen. Neben der Definition im Grünbuch Citizen Science: „Citizen Science beschreibt die Beteiligung von Personen an wissenschaftlichen Prozessen, die nicht in diesem Wissenschaftsbereich institutionell gebunden sind.“ lohnt sich hier ein Blick auf die von den Referentinnen genannten Themen und Hintergründe ihrer Erfahrungen und Projekte. Genannt wurden Schwerpunkte wie „Klima und Gesundheit“, „ökologische Nachhaltigkeit und Gesundheit“, „Soziale Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit“, „Bildung und Integration“ oder „Energie, Versorgung, Konsum“. Diese Themen tangieren in Teilen auch Inhalte von Beteiligungsansätzen, beispielsweise in der Stadtentwicklung, gehen in ihrer Ausrichtung, Fokussierung und Ausgestaltung im Rahmen von Citizen Science aber durchaus darüber hinaus. 

Als Initiator*innen von Citizen Science-Projekten wurden in erster Linie die Wissenschaft oder zivilgesellschaftliche Initiativen genannt. Zwar zeigen der Ansatz in Nürnberg oder z.B. das UniverCity-Projekt in Bochum, dass sich hier auch Kommunen auf den Weg machen. Dies scheint aber noch eher die Ausnahme zu sein. Kommunen haben die (strategische) Einbeziehung von Bürgerwissen(schaft) selten auf dem Schirm. Es stellt auch keinen Baustein in einer zu entwickelnden Strategie oder beim Umgang mit Krisen dar, auch wenn in allen genannten Beispielen Kommunen als Partner involviert waren. Zudem: berichtet wurde auch von einer häufig kritischen Haltung gegenüber diesem so generierten Wissen. Der Wissenschaft ist es zu unwissenschaftlich, der Verwaltung zu aufwändig, der Politik zu undemokratisch… Citizen Science hat es nicht immer einfach. 

Gemeinsam war den Berichten und Einblicken, dass die Erfahrungen im Kontext geförderter Projekte gemacht wurden – im Falle der Hans Sauer Stiftung als fördernde Institution. In den Diskussionen bestätigt werden konnte, dass der Ansatz in der Tendenz einen akademischen Touch beibehält. Es ließe sich kein Querschnitt der Bevölkerung mit dem Thema erreichen oder gewinnen. Des Weiteren wurde der Großteil der vorgestellten Erfahrungen im städtischen Kontext gemacht. 

Es stellt sich also die Frage: Warum sollten sich Kommunen hier mehr engagieren, initiieren, ermöglichen und koordinieren? Es besteht der Eindruck, dass Citizen Science eine Art „Wohlfühlthema“ ist, das in Zeiten von ausgeschöpften personellen und finanziellen Ressourcen keinen Platz in den Verwaltungen findet. Aber gerade in Zeiten von Krisen ist es fraglich, ob dies die richtige Vorgehensweise ist. Ist es nicht eher so, dass wir es uns in herausfordernden Zeiten kaum leisten können auf dieses Wissen, die Bereitstellung und das Sammeln von Daten und Informationen, auf dieses Engagement und das Arbeiten in Netzwerkstrukturen zu verzichten und gezielt in Lösungs- und Bewältigungsprozesse auf kommunaler Ebene einzubeziehen? Auch wenn der Aufwand zunächst groß, das Aufgabenpaket schwer greifbar erscheint und der Nutzen kaum messbar ist, zeigt sich doch immer mehr, dass die Bewältigung von Krisen zusehends als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begriffen und angegangen werden muss. Hierfür müssen sich alle Seiten aufeinander einlassen und aufeinander zugehen. 


Dieser Beitrag ist Teil unserer Jubiläums-Blogreihe „Fragen für die Zukunft der Citizen Science". Hier geht es zur Übersicht der Blogreihe.

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