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Wie wirkt eigentlich Citizen Science? Perspektivwechsel - Wissenschaftler*innen im Fokus

Pexels/Karolina Grabowska

In Citizen-Science-Projekten forschen - auf unterschiedlichen Leveln und mit unterschiedlichen Aufgaben - Bürger*innen zusammen mit Wissenschaftler*innen. Dabei erhalten Citizen Scientists Einblicke, Kompetenzen und Erfahrungen aus der Forschung, die Auswirkungen auf ihr Wissen, ihre Einstellungen und ihr Verhalten haben können. Doch was denken die Wissenschaftler*innen über diese Form der Forschung?


Hier geht es zur Übersichtsseite der Blogreihe!


Im neunten Beitrag unserer Blogreihe befassen wir uns mit der Perspektive von Wissenschaftler*innen auf Citizen Science und dem Ansehen von Citizen Science in der Wissenschaft. Wie wird die Zusammenarbeit eingeschätzt? Welche Aspekte funktionieren, wo gibt es Verbesserungsbedarf? Und sind Wirkungen von Citizen Science auf Wissenschaftler*innen bekannt? 

Das Vorgehen: 

Wir haben im November 2021 drei Literaturrecherchen bei Google Scholar ohne Zeitraumbegrenzung durchgeführt. Sie kombinierten das Stichwort “Citizen Science” zum einen mit “views of scientists”. Um die Recherche zu verdichten, haben wir zudem nach “Citizen Science” und “impact on scientists” sowie “impact on researchers” gesucht. Hier wurde der Begriff “impact” gewählt, um Beiträge zu umgehen, die sich mit dem Outcome des jeweiligen Projekts und der jeweiligen Forschung aus Perspektive der Wissenschaftler*innen befassen. Die angezeigten Beiträge wurden gescannt und zunächst gefiltert, ob die Veröffentlichung einen Citizen-Science-Bezug hat, weil sie sich etwa selbst diesem Ansatz zuordnet oder zumindest nicht gegen die Definition aus dem Grünbuch Citizen Science verstößt (Bonn et al. 2016). 

Anschließend wurde geprüft, ob die Veröffentlichung zu dem Thema und der Fragestellung des Blogs passt, also ob sie in unsere Betrachtung aufgenommen wird. Als relevant galten dabei Paper, die sich auf empirischer Ebene mit der Perspektive von Wissenschaftler*innen auf Citizen Science oder der Wirkung von Citizen-Science-Projekten auf Wissenschaftler*innen befassen und eigene Ergebnisse berichten. Theoretische Ansätze, Konzeptualisierungen oder Projektreflexionen wurden also ausgeschlossen. Zudem wurden Paper ausgeschlossen, die wir bereits in vergangenen Blogbeiträgen besprochen oder erwähnt haben, wobei diese sich alle nicht mit der Perspektive der Forscher*innen befassten (weswegen wir sie hier nicht auflisten). 

In diesen drei Recherchen haben wir drei Artikel gefunden, die einen Eindruck dieser Perspektive geben sollen. 

Die Studien: 

  • Riesch und Potter (2013) 
  • Burgess et al. (2016)
  • Golumbic et al. (2017) 

Die Ergebnisse: 

Hauke Riesch und Clive Potter (2013) haben insgesamt 41 semi-strukturierte Interviews mit Wissenschaftler*innen und Wissenschaftskommunikator*innen geführt, die für die Open Air Laboratories (OPAL) arbeiteten. Hierbei handelt es sich um ein Englisches nicht-staatlich gefördertes Public-Engagement-Projekt, das national mit Bürger*innen zusammen Daten erhebt und Feldforschungstage durchführt. Zudem gehören regionale Zentren, die an Universitäten angebunden sind und unter anderem den Dialog mit der Community und schwer erreichbaren Gruppen organisieren, zum OPAL-Netzwerk. Von den 41 Interviewpartner*innen hatten 30 einen Wissenschaftshintergrund und stehen im Fokus des Papers. Riesch und Potter schreiben, dass die Beteiligung an OPAL für fast alle Beteiligten eine sehr positive Erfahrung gewesen sei, dass sich in den Interviews allerdings besonders zwei Herausforderungen herauskristallisierten: die Datenqualität und der daraufbasierende Ruf von Citizen Science sowie ethische Fragestellungen rund ums Thema Open Science. So hätten sich alle Interviewpartner*innen viele Gedanken um die Datenqualität in ihren Projekten gemacht. Am Ende wären aber alle Projekte auf viele verschiedene Arten in der Lage gewesen, die gewünschte Datenqualität auch zu erreichen. In diesem Zusammenhang sei auch das Image und die Wahrnehmung von Citizen Science und daraufbasierender Forschungsergebnisse relevant. So hätten viele der Interviewpartner*innen zunächst negative Reaktionen auf die Citizen-Science-Forschung erwartet. Auch wenn diese in der Praxis deutlich seltener als angenommen eintrafen, äußerten einige der Wissenschaftler*innen Angst vor Skepsis aus dem Wissenschaftsfeld. 

Als zweite Herausforderungen wurden ethische Fragestellungen im Kontext öffentlicher Daten und Beteiligung der Öffentlichkeit thematisiert. Hier wurde besonders über Möglichkeiten des Open Access, über die Frage des geistigen Eigentums, über die Anerkennung der Beteiligten und das Recruitment gesprochen, die in der Projektpraxis jeweils zu unterschiedlichen Graden gelöst werden konnten. 

Riesch und Potter versuchen dabei jeweils auf die Ambivalenz der genannten Themenbereiche einzugehen, indem sie den Herausforderungen positive Learnings und Erfahrungen an die Seite stellen. Dennoch machen sie deutlich: Wenn Probleme und Herausforderungen von Citizen Science nicht benannt werden und wenn die Hoffnung an diese Beteiligungsform zu hoch und ambitioniert sind, seien Citizen-Science-Projekte zum Scheitern verurteilt. Es brauche vielmehr einen offenen Diskurs über die vielen Möglichkeiten und Potentiale, aber auch die Herausforderungen und Grenzen. 

Hillary K. Burgess und Kolleg*innen (2016) haben sich der Perspektive aus der Wissenschaft aus einem anderen Blickwinkel genähert: Sie führten Surveys mit Biodiversitätswissenschaftler*innen (n=423) und Citizen-Science-Manager*innen (n=125) durch und analysierten einerseits Faktoren, die die Veröffentlichungen mit beziehungsweise von Citizen-Science-Daten beeinflussten. So werden die Wissenschaftler*innen bei der Entscheidung zur Veröffentlichung und Verwendung von Citizen-Science-Daten von einer Reihe von Faktoren beeinflusst: Hierzu gehören die Einschätzung der Daten und der Datenkontrolle, das Wissen von beziehungsweise über relevante Projekte und verschiedene Charakteristika der einzelnen Citizen-Science-Projekte, wie zum Beispiel die Laufzeit des Projekts und die Erfahrung der Teilnehmer*innen, das Durchführen von Pre-Tests zur Qualitätskontrolle während der Teilnehmer*innentrainings oder die Zielvorstellung des Projekts. 

Andererseits verglichen Burgess und Kolleg*innen die Wahrnehmung von Citizen Science der Wissenschaftler*innen mit denen der Citizen-Science-Manager*innen und stellten fest, dass diese die Projekte und ihre Ziele deutlich positiver einschätzen als die Wissenschaftler*innen. Tendenziell schätzen allerdings beide Gruppen das Ziel der Wissenstransfers durch Citizen Science deutlich wichtiger als das der Forschung ein. 

Burgess und Kolleg*innen extrahieren vier Themen- und Fragenfelder aus ihrer Forschung, die einen Einfluss auf die Nutzung von Citizen Science in der Wissenschaft haben: eine Präferenz für Daten, die von Wissenschaftler*innen erhoben wurden, Aspekte der Datenqualität, Awareness der Wissenschaftler*innen in Bezug auf Citizen Science und die fachliche und thematische Eignung der Projekte für einen Citizen-Science-Forschungsansatz. Sie folgern aus den Surveyantworten, dass es für eine erfolgreiche Umsetzung von Citizen Science mehr Transparenz, mehr Sichtbarkeit und einen erweiterten Zugang zu Forschungsdaten und ihrem Monitoring brauche. Zudem müssten Citizen-Science-Manager*innen und Wissenschaftler*innen sich stärker über Ziele, Möglichkeiten und Herausforderungen von Citizen Science austauschen und zu einem gemeinsamen Verständnis kommen. 

Yaela Golumbic und Kolleg*innen (2017) haben 10 Wissenschaftler*innen interviewt, die im Rahmen eines internationalen EU-Forschungsprojekts an einer Citizen-Science-Initiative zum Thema Luftqualität beteiligt waren. Die Aussagen der Wissenschaftler*innen verglichen sie mit den Ergebnissen einer Literaturreview zu Bestandteilen von und Sichtweisen auf Citizen Science. Basierend auf der Literatur seien erfolgreiche Hauptelemente von Citizen Science die gelingende Inklusion, die positiven Beiträgen zu Wissenschaft und Gesellschaft und ein gelingender Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Der Vergleich macht deutlich, dass die Wissenschaftler*innen eine deutlich kritischere Perspektive zu Citizen Science einnahmen als die Literatur. 

Die Grundmotivation der Wissenschaftler*innen zur Aufnahme von Bürger*innenbeteiligung in den Forschungsantrag zum Thema der Luftverschmutzung sei der Zugang zu wichtigen finanziellen Ressourcen. Dementsprechend vermuten die Autor*innen, dass den meisten beteiligten Wissenschaftler*innen das Ausmaß der Bürger*innenbeteiligung nicht klar gewesen sei. Weiterhin nahmen die Wissenschaftler*innen Positionen ein, nach denen die Öffentlichkeit - neben Datenpunkten - keine sinnvollen Beiträge zur Forschung liefern könne, ihr sogar teilweise im Weg stehe und daher Citizen Science lediglich als Werkzeug von Wissenschaftsbildung und Initiator von Aktivismus in der Bevölkerung zu sehen sei. Wissenschaft sei zudem keine Demokratie. Wissenschaftskommunikation sei aus Sicht einiger Wissenschaftler*innen keine Aufgabe von ihnen, wobei besonders wissenschaftliche Hilfskräfte sich hierzu anders äußerten und eine Beteiligung der Bevölkerung als wertvoll für beide Seiten ansahen. Golumbic und Kolleg*innen machen besonders die extrinsische Motivation der Wissenschaftler*innen für deren Haltung zu Citizen Science verantwortlich und betonen den Unterschied zwischen Nachwuchs- und etablierten Wissenschaftler*innen. So könne auf das Verständnis ersterer aufgebaut und Citizen Science erfolgreich etabliert werden. 

Der Ausblick:

Die Studien erfassen die Sichtweisen und Reflektionen von bereits an Citizen Science beteiligten Personen etwa den Projektinitiator*innen oder beteiligten Wissenschaftler*innen wissenschaftlich. Diese äußern Bedenken über die Wahrnehmung und den Stellenwert von Citizen Science in der wissenschaftlichen Community. Genau diese Perspektive wird aber in zwei der Studien nicht und in einer nur am Rande erfasst. Jedoch könnte gerade diese Außensicht auf Citizen Science helfen Herausforderungen auszumachen, Missverständnisse aufzudecken und realistische Potenziale zu beschreiben. Der tatsächliche Ruf von Citizen Science in der Wissenschaft ließe sich so umfassend erfassen, verstehen und ggfs. verändern. 

In Bezug auf die Wahrnehmung von Citizen Science in der wissenschaftlichen Community sollte nicht unerwähnt bleiben, dass es vermehrt Capacity Building-Maßnahmen gibt - von den Trainingsworkshops bei Bürger schaffen Wissen bis zum ersten Masterstudiengang Citizen Science am UCL - und auch die Publikationen in wissenschaftlichen Journals zum Thema Citizen Science deutlich gestiegen sind (z.B. Pelacho et al. 2020; Bautista-Puig et al. 2019). Das Feld befindet sich also in einem Etablierungsprozess.

Zudem ist bislang kaum untersucht, welche Wirkung die Durchführung von beziehungsweise Beteiligung an Citizen-Science-Forschung auf Wissenschaftler*innen selbst hat - und ob so beispielsweise neue Haltungen, Fragestellungen, Verhaltensweisen oder Ideen hervorgerufen werden.

Literatur: 

Bautista-Puig, N., De Filippo, D., Mauleón, E. & Sanz-Casado, E. (2019). Scientific Landscape of Citizen Science Publications: Dynamics, Content and Presence in Social Media. Publications 7(1):12. https://doi.org/10.3390/publications7010012

Bonn, A., Richter, A., Vohland, K., Pettibone, L., Brandt, M., Feldmann, R., Goebel, C., Grefe, C., Hecker, S., Hen-nen, L., Hofer, H., Kiefer, S., Klotz, S., Kluttig, T., Krause, J., Küsel, K., Liedtke, C., Mahla, A., Neumeier, V., Premke-Kraus, M., Rillig, M. C., Röller, O., Schäffler, L., Schmalzbauer, B., Schneidewind, U., Schumann, A., Settele, J., Tochtermann, K., Tockner, K., Vogel, J., Volkmann, W., von Unger, H., Walter, D., Weisskopf, M., Wirth, C., Witt, T., Wolst, D. & D. Ziegler (2016): Grünbuch Citizen Science Strategie 2020 für Deutschland. Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig, Leipzig, Museum für Naturkunde Berlin, Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung (MfN), Berlin-Brandenburgisches Institut für Biodiversitätsforschung (BBIB, Berlin). https://www.buergerschaffenwissen.de/sites/default/files/assets/dokumente/gewiss-gruenbuch_citizen_science_strategie.pdf#page=14

Burgess, H.K., DeBey, L.B., Froehlich, H.E., Schmidt, N., Theobald, E.J., Ettinger, A.K., HillieRisLambers, J., Tewksbury, J., Parrish, J.K. (2016): The science of citizen science: Exploring barriers to use as a primary research tool. Biological Conservation: http://dx.doi.org/10.1016/j.biocon.2016.05.014 

Golimbic, Y.N., Orr, D., Baram-Tsabari, A., Fishbain, B. (2017): Between Vision and Reality: A Study of Scientits’ Views on Citizen Science. Citizen Science: Theory and Practice 2(1): 6, 1-13. DOI: https://doi.org/10.5334/cstp.53 

Pelacho, M., Ruiz, G., Sanz, F., Tarancón, A. & Clemente-Gallardo, J. (2021). Analysis of the evolution and collaboration networks of citizen science scientific publications. Scientometrics 126, 225–257. https://doi.org/10.1007/s11192-020-03724-x

Riesch, H., Potter, C. (2013): Citizen science as seen by scientists: Methodological, epistemological and ethical dimensions. Public Understanding of Science 23:107. DOI: 10.1177/0963662513497324 


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Julia Lorke und Vincent Schmid-Loertzer

Wie wirkt die Teilnahme an Projekten eigentlich auf die Citizen Scientists? In der Blogreihe geben Julia Lorke und Vincent Schmid-Loertzer einen Einblick in die Erkenntnisse aus der Forschung und sammeln hilfreiche Ressourcen.