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Nachgeforscht bei Sibylle Schroer von “Tatort Straßenbeleuchtung”

Messen der Beleuchtungsstärke (c) Andreas Jechow

Im Projekt “Tatort Straßenbeleuchtung: Artenschutz durch umweltverträgliche Beleuchtung” können Bürger*innen Insekten fangen und bestimmen, um den Auswirkungen von Lichtverschmutzung auf die Spur zu kommen. Wir haben mit der Projektkoordinatorin Dr. Sibylle Schroer vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei gesprochen:

Wie kam Ihnen die Idee zu dem Projekt und warum ist die Einbeziehung der Bürger*innen so wichtig?

Am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei forschen wir seit zehn Jahren über die Auswirkungen von künstlichem Licht auf unsere Ökosysteme. Licht ist ein Attraktionspunkt für Insekten deshalb überlegten wir, dass wir Lampenschirme entwickeln sollten, die nur nach unten leuchten, damit die Leuchtpunkte in der Nacht nicht den Insekten die Orientierung rauben. Für uns Menschen sind diese Leuchten Orientierungspunkte, die uns den Weg weisen, für Insekten wirken sie jedoch wie große Staubsauger, die sie in riesiger Zahl aus ihrer ökologischer Aufgabe ziehen. Es ist daher wichtig, dass wir zum einen diese Störung im Lebensraum der Insekten verringern und zum anderen Bürger*innen mit ins Boot holen, um das Verständnis für Beleuchtung und damit zusammenhängende Veränderungen in Lebensräumen zu verdeutlichen. Denn nur das Bewusstsein über die negativen Auswirkungen von Beleuchtung lässt die Bereitschaft wachsen, auch private Beleuchtung zu verringern.

Ebenso zählen wir auf die Unterstützung von Bürger*innen im wissenschaftlichen Prozess, um die Arten hinreichend bestimmen zu können. Da gibt es bei den Bürgerwissenschaftler*innen teilweise sehr hohes Wissen und das wollen wir nutzen und Expert*innen untereinander vernetzen.

Ihr Projekt trifft mit dem Thema Artenschutz ein heiß diskutiertes Thema. Oft wird jedoch der Faktor Licht dabei vergessen. Wie begegnen Bürgerforschende und weitere Akteur*innen dem Thema Lichtverschmutzung?

Mit ganz großem Erstaunen - vor allem nach Vorträgen. Viele Menschen sind überrascht über das hohe Maß an Auswirkungen durch künstliches Licht in der Nacht auf Flora und Fauna, vor allem weil Licht sonst nur positiv wahrgenommen wird. Wenn wir aber auf die evolutionären Gegebenheiten des Tag-Nacht-Rhythmus verweisen, dann sind die immensen Auswirkungen durch künstliches Licht in der Nacht gar nicht verwunderlich, denn es gab bis vor ca. 100 Jahren diesen Faktor des künstlichen Lichts in der Nacht einfach nicht. Bei eingeschaltetem Licht schläft es sich einfach schlecht. Nichts anderes tun wir aber Flora und Fauna in urbanen Gebieten an, indem Außenbeleuchtung achtlos und nutzlos über den gesamten Zeitraum der Nacht angelassen wird. Ökosysteme, die in der Nacht gestört werden, sind so wie wir unausgeschlafen und können den ganzen Stress, den wir zum Beispiel durch Umweltverschmutzungen verursachen, weniger gut abpuffern. Licht ist außerdem ein Konsumgut - wir würden auch den Wasserhahn nicht die ganze Nacht laufen lassen. Wenn wir das Licht ausschalten, dann sind auch alle negativen Folgen ausgeschaltet, anders als zum Beispiel bei Umweltgiften, die noch Jahre brauchen, um abgebaut zu werden.

Sie planen dieses Jahr in vier Projektgebieten die Umrüstung auf ein neues Straßenbeleuchtungsdesign. Wie wählen Sie diese Standorte aus und was sind die Vorteile der neuen Beleuchtung?

Der Vorteil der neuen Beleuchtung ist, dass das Licht gezielt nur dahin gelenkt wird, wo wir es brauchen - auf dem Gehweg und auf Objekte auf der Straße und nicht in den Himmel oder das angrenzende Biotop. Leider ist die öffentliche Beleuchtung vieler Kommunen schlecht gestaltet. Gehwege und Stolperfallen sind unzureichend ausgeleuchtet, dafür trifft das Licht auf Wohnzimmerfenster, Grünanlagen oder angrenzende Gewässer. Oder sie ist so hell, dass sie blendet und deshalb Fußgänger schwer zu erkennen sind weil sie im Schatten verschwinden. 

Ausgesucht haben wir unsere vier Partnerkommunen im Projekt nach Zertifizierungen durch die International Dark Sky Association (IDA). Die Vereinigung zeichnet Orte für die Qualität ihrer Sternenhimmel aus. Die Kommunen schützen den Nachthimmel nach den Vorgaben der IDA und können dadurch zum Beispiel Einnahmen über Astro-Tourismus generieren. Die vier Kommunen unseres Projektes sind entweder schon Sternenparks wie Fulda und Gülpe im Westhavelland oder bewerben sich derzeit dafür, wie die beiden anderen Gemeinden Neuglobsow und Krakow am See. Es gab also schon eine Bereitschaft in diesen Kommunen die Beleuchtung aus Gründen des Umweltschutzes zu verändern. Außerdem mussten wir vergleichbare Bedingungen finden. Wir brauchten in allen Kommunen einen ausreichend langen Straßenabschnitt in der Nähe eines Gewässers, dessen Beleuchtung umgerüstet werden kann, weil wir vor allem aquatische Insekten messen. Bei Insekten, die ihren Ursprung in einem Gewässer haben, kennt man die Flugrichtung und in unserem Projekt möchten wir das Flugverhalten der Insekten an der Straßenbeleuchtung und darüber hinaus messen. Denn heutige Straßenbeleuchtung hat nicht nur einen Staubsaugereffekt sondern auch einen Barriereeffekt auf Insekten, denn diese werden meist von einem der Leuchtpunkte angezogen und haben wenig Chancen über die Beleuchtungspunkte in den Lebensraum jenseits der Straße zu fliegen. In unseren vier Partnerkommunen ist diese Struktur gegeben, sodass wir zwei Jahre vor und zwei Jahre nach der Umrüstung die Veränderungen durch das Beleuchtungsdesign messen können. Zusätzlich werden noch ein paar Leuchten im alten Zustand belassen, um einen Direktvergleich zu haben.  

Wie läuft die Beobachtung in diesem Rahmen ab?

Hierzu laden wir Bürgerwissenschaftler*innen ein mitzumachen, wir bieten Mitmachaktionen beim Insektenmonitoring in Workshops an, um mehr über die heimische Insektenfauna zu erlernen und bei der Bestimmung der gefangenen Insekten zu helfen. Die Insekten werden in einer Nacht pro Monat in der Saison gefangen. Damit die natürlichen Beleuchtungsbedingungen vergleichbar sind, finden diese Fangnächte immer zum abnehmenden Halbmond statt. Zu Sonnenuntergang werden unsere Insektenfallen im Gewässer, an den Straßenleuchten und in Form von Lichtfallen in Vorgärten und angrenzenden Grundstücken aktiviert und am Morgen zu Sonnenaufgang gelehrt. Die gefangenen Insekten werden dann in Workshops identifiziert und auf Ordnungsniveau bestimmt. Hobbyentomolog*innen können dann weiterhin Teile der Sammlungen ausleihen, oder in gemeinsamen Workshops auf Artniveau bestimmen.

Weiterhin messen wir die Himmelshelligkeit anhand von sogenannte Sky-Quality-Meter (SQM), die fest installiert werden oder per Hand gehalten werden, um lokal Werte aufzunehmen. Nur mit einer hohen Menge an Daten können wir den Trend der Veränderungen durch die Beleuchtungssituation auf die Himmelshelligkeit erfassen. Daher laden wir Menschen zu Messnächten ein. Mithilfe der Messgeräte (SQM) oder derVerlust der Nacht“-App messen wir gemeinsam die Himmelshelligkeit an verschiedenen Orten. Die App führt Nutzer*innen über den Himmel und fragt die Sichtbarkeit von Sternen mit unterschiedlichen Helligkeiten und Größen ab. Anhand der Erkennbarkeit der Sterne kann das Maß der Verschmutzung des natürlichen Lichtes durch künstliche Beleuchtung in der Umgebung ermittelt werden. Die Daten werden in eine globale Datenbank übermittelt und geben uns Informationen über den Zuwachs an künstlicher Beleuchtung.

Was war bisher die größte Herausforderung in Ihrem Projekt?

Im Frühjahr 2020 haben wir mit unseren bürgerwissenschaftlichen Aktionen angefangen - das war der denkbar schlechteste Zeitpunkt, um gemeinschaftliche Aktionen zu starten. Unsere Auftaktveranstaltung fand einen Tag vor dem 2. Lockdown statt, mit Masken und Abständen zwischen den Teilnehmenden vor Ort und als Hybrid-Veranstaltung mit einigen Menschen an den Monitoren in ihren Wohnzimmern. Für selbständige Arbeiten einiger Bürgerwissenschaftler*innen fehlten uns noch die digitalen Infrastrukturen und das Netzwerk. Der Lockdown hat uns aber geholfen, uns als Projektteam zu finden und wir hoffen jetzt genügend Strukturen aufgebaut zu haben, um Umweltbildung und wissenschaftliche Mitarbeit anbieten zu können. Dadurch, dass z.B. eine unserer Koordinatorinnen Lehrerin ist, konnten wir wenigstens für einige Schulklassen ein paar Workshops anbieten und das Interesse für die Insektenkunde wecken.

Ihr schönster Citizen-Science-Moment – wie war der?

Für mich fängt Citizen Science schon da an, wenn sich Menschen für ein Thema interessieren und mitmachen wollen, um Lösungen, beispielsweise für Umweltprobleme, zu finden. Und das war so ein schöner Moment: Ich habe mal eine Nachtführung über die Lichter Berlins geplant. Wir haben uns dabei beleuchtete und unbeleuchtete Strecken angeschaut, und zusammen diskutiert, wie wir die Beleuchtung besser machen könnten. Auf dem Rückweg habe ich die Bürgerwissenschaftler*innen gefragt, welchen Weg sie nehmen wollen - die unbeleuchtete oder die beleuchtete Strecke? Alle wollten durch den dunklen Bereich gehen. Vorher wären sie niemals dort reingelaufen, denn in den ersten Metern in die Dunkelheit hinein hat man natürlich Angst. Aber als diese Meter gemeinsam überschritten waren, wurde es schön. Aus diesem dunklen Bereich konnten wir nicht nur ein anderes Licht auf die Stadtlichter werfen, sondern sogar die Sterne besser sehen. Das war für alle ein sehr schönes Erlebnis und zeigte uns, dass oftmals weniger mehr ist. Wenn die Beleuchtung überall etwas weniger hell wäre, könnten wir die Nacht viel besser und sogar sicherer genießen.

Sie schreiben auf Ihrer Website, dass Langzeitstudien in Ihrer Untersuchung wichtig sind, da sich die negativen Auswirkungen künstlicher Beleuchtung erst nach mehreren Jahren messen lassen. Ein kurzer Ausblick: Was sind die nächsten Schritte für dieses und die kommenden Jahre?

Wir haben tolle Kommunen gefunden, die in den nächsten Jahren noch bereit sind, mit uns zusammenzuarbeiten. Unsere Projektphase geht noch bis 2025, aber selbst danach wollen wir sehen, was sich weiterhin verändert. Darüber hinaus haben wir ein spannendes Experimentalfeld, das im Havelland liegt. Seit 2012 haben wir 12 Straßenlaternen auf dem Feld installiert, anhand derer wir Langzeitstudien durchführen und beobachten Wie verhalten sich die Insekten? Wie passt sich das Ökosystem an die Beleuchtungssituation an? Und welche Beleuchtungslösungen helfen, Lebensräume zu erhalten?”. Das Aktionsprogramm Insektenschutz gibt Hoffnung, dass wir Insekten schützen können, indem wir ihnen ihren Lebensraum wenigstens teilweise durch umweltfreundlichere Beleuchtungslösungen zurückgeben können. Bei einer konsequenten Umsetzung kann die neue Auflage des Bundesnaturschutzgesetzes für den Schutz der Insekten einen großen Beitrag leisten - zumindest was die Lichtverschmutzung  betrifft. Zudem wird die Arbeitsgruppe an unserem Institut, Lichtverschmutzung und Ökophysiologie weiterarbeiten. Wir gewinnen  weltweit immer mehr Mitstreiter*innen, die für Schutz und Rechte der zweiten Hälfte des Tages, der Nacht, forschen.

 

Dr. Sibylle Schroer Foto

Dr. Sibylle Schroer ist seit 2010 wissenschaftliche Koordinatorin der Arbeitsgruppe Lichtverschmutzung und Ökophysiologie am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. Sie unterstützt die interdisziplinäre und internationale Zusammenarbeit von Wissenschaftler*innen zum Thema Lichtverschmutzung und Auswirkungen auf Flora, Fauna, Habitat und den Menschen.

 

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Ly Le

Ly studiert im Master Veranstaltungstechnik und -management in Berlin und unterstützt Bürger schaffen Wissen insbesondere bei der grafischen Gestaltung, Social Media und Veranstaltungen.