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mit:forschen!

Die Plattform für Citizen-Science-Projekte aus Deutschland: Mitforschen, präsentieren, informieren!

Fragen für die Zukunft der Citizen Science: Unser Rückblick auf die letzten 10 Jahre

Foto: Ralf Rebmann / WiD

Vor zehn Jahren saß ich mit einigen Kolleg*innen von Wissenschaft im Dialog und dem Museum für Naturkunde Berlin vor dem Rechner, einen Klick davon entfernt, den Launch der Webseite www.buergerschaffenwissen.de in die Welt oder zumindest ins Netz zu verkünden. Knapp vier Monate hatten wir für die Konzeption und Entwicklung der Seite gebraucht und starteten damals mit einer deutlich schlankeren Version der heutigen Plattform. Zehn Projekte waren im April 2014 auf der Plattform gelistet. Die meisten davon sind heute noch aktiv, wie zum Beispiel der Mückenatlas, die Sensebox oder das Projekt „Verlust der Nacht”. Unser Ziel war es, mithilfe der Plattform über Citizen Science zu informieren, Projekte zu präsentieren und Lust auf das Mitforschen zu machen.

Und obwohl die gelisteten Projekte teilweise schon seit mehreren Jahren sehr erfolgreich mit Citizen Science arbeiteten, waren zentrale Fragen für unsere Arbeit, vor allem aber auch für den zeitgleich stattfindenden Vernetzungsprozess im Rahmen des GEWISS-Bausteinprogramms: Wie kann aus einzelnen Projekten in einzelnen Disziplinen etwas Übergreifendes entstehen? Welche Rolle kann und soll Citizen Science perspektivisch in der Forschung, aber auch in der Wissenschaftskommunikation spielen? Und was braucht es dafür?

Heute, zehn Jahre später, gibt es ein sehr klares politisches Bekenntnis für die Relevanz von Citizen Science, von Partizipation in der Forschung. So wurde 2021 im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP vereinbart, „mit Citizen Science und Bürgerwissenschaften Perspektiven aus der Zivilgesellschaft stärker in die Forschung” einzubeziehen. Erst vor wenigen Wochen wurde im Bundestag im Rahmen des Antrags der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP „Wissenschaftskommunikation systematisch und umfassend stärken” die Rolle von Citizen Science herausgestellt – als Vehikel, um für Wissenschaft und Forschung zu begeistern, Verständnis für wissenschaftliches Arbeiten zu schaffen sowie Selbstwirksamkeitserfahrungen der Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichen. Forschung könne mit Citizen Science zudem an die Bedarfe der Menschen rückgekoppelt werden und profitiere von neuen Perspektiven.

Dass die strukturelle Stärkung von Citizen Science und die Professionalisierung des Feldes im Bundestag debattiert wird, zeigt, dass es nicht nur um den Forschungsmehrwert von Citizen Science geht: Dem Ansatz wird auch auf gesellschaftlicher Ebene eine große Bedeutung beigemessen.

Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation durchlaufen seit mehreren Jahren einen Reflektionsprozess, der sehr deutlich aufzeigt, dass das reine Informieren über wissenschaftliche Forschungsergebnisse für einen gelungenen Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Bevölkerung nicht ausreicht – erst recht nicht, um aktuelle Herausforderungen anzugehen. Zu komplex, zu herausfordernd und vielleicht auch zu beängstigend sind die vielfältigen Krisen von Corona über das aktuelle Kriegsgeschehen bis hin zum Klimawandel. Die Stärkung des Verständnis darüber, wie Wissenschaft funktioniert, wurde auch schon 2014 als ein potentieller Mehrwert von Citizen Science thematisiert. Durch die Zunahme von Fake News, Filterbubbles und vielfältigen Kommunikationskanälen hat dieser Aspekt aber seit 2016 weiter an Gewicht gewonnen. Wir müssen diese Krisen als Gesellschaft solidarisch bewältigen und können den Sprung vom Wissen ins Handeln nur schaffen, wenn wir uns auf ein gemeinsames Problembewusstsein verständigen. Die Fähigkeit, Informationsangebote filtern und einordnen zu können, aber auch reflektiertes Vertrauen in Wissenschaft, in wissenschaftliche Institutionen und das Prozesshafte der Forschung sind dafür grundlegende Elemente.

Citizen Science ist ein Ansatz, in dem Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftler*innen und Nicht-Wissenschaftler*innen in verschiedenen Phasen des Forschungsprozesses stattfindet und der von dieser Kooperation und dem dadurch ermöglichten beidseitigen  Perspektivwechsel lebt. Gemeinsam Wissen zu schaffen, ist so das Ziel der Projekte. Gleichzeitig aber auch Ausdruck einer Haltung, die Vertrauen in wissenschaftliche Evidenz und Prozesse herstellen kann!

Genau diese Haltung verlangt aber nicht nur nach individueller Überzeugung, sondern auch nach entsprechenden Kapazitäten und Kompetenzen zur Umsetzung der Projekte. Mit Blick auf die Rahmenbedingungen ist die Anerkennung dieser Art von Forschung im traditionellen Wissenschaftssystem fundamental für die Verbreitung wertegeleiteter partizipativer Forschung. Wie diese Stärkung aussehen kann, ist sowohl im 2016 erschienenen Grünbuch als Vision für 2020 formuliert worden, als auch von 2020 bis 2022 in einem Bottom-up-Prozess  durch die Community in der Citizen-Science-Strategie 2030 in konkrete Handlungsempfehlungen übersetzt und erweitert worden. Hier flossen die Expertise aus der wachsenden Community und vor allem auch die Erfahrungen aus einer sich erweiternden Projektlandschaft ein. Dedizierte Citizen-Science-Förderlinien des BMBF und seit 2022 auch der Hans Sauer Stiftung, aber auch die Integration von Citizen Science in thematische Förderlinien anderer Institutionen wie z.B. Deutsche Bundesstiftung Umwelt, Bundesamt für Naturschutz oder Verkehrsministerium sowie die breite Förderung von Citizen Science durch die EU-Kommission (u.a. im Programm Horizon 2020) haben dazu beigetragen, dass viele neue Projekte mit vielen neuen Impulsen, aber auch vielen neuen Fragen entstanden sind. Für die Weiterentwicklung des Feldes ist daher die fortlaufende Vernetzung sowie der kontinuierliche Erfahrungsaustausch und Wissenstransfer zwischen den Praktiker*innen ausschlaggebend. 

Mit unserer Plattform vernetzen und stärken wir diese Akteur*innen seit 2014. Neben der Präsentation von Projekten und Information über Citizen Science übernahmen wir nach und nach weitere Aufgaben und Funktionen, immer an den Bedarfen der wachsenden Community ausgerichtet. Mit der Idee, die disziplinübergreifende Vernetzung und den Austausch über eine von da an jährlich stattfindende Fachkonferenz weiter zu stärken sowie aktuelle Themen zu diskutieren, richteten wir 2017 das erste Forum Citizen Science aus. Im Jahr 2018 gründeten sich die ersten Arbeitsgruppen in Zusammenarbeit mit Bürger schaffen Wissen, um sich regional zu vernetzen, sich zu spezifischen Themen auszutauschen oder gemeinsame Aktionen zu planen. Im Jahr 2020 kamen unsere mehrteiligen digitalen Trainingsworkshops dazu, um zukünftige Projektkoordinator*innen bei der Planung ihrer Citizen-Science-Projekte zu unterstützen. Kompetenzen aufzubauen und Kapazitäten zu stärken, wurde so neben der Öffentlichkeitsarbeit für Citizen Science zu einem wichtigen Bestandteil unserer Arbeit. [WB3]  Seit Ende 2021 ergänzt der Wettbewerb  Auf die Plätze! Citizen Science in deiner Stadt unseren Bereich und legt dabei einen Fokus auf die Förderung lokaler Citizen-Science-Ideen sowie die Stärkung von lokalen Netzwerken aus wissenschaftlichen, zivilgesellschaftlichen und behördlichen Akteur*innen. Wir arbeiten eng  zusammen, um Citizen Science auch in diesen Kontexten weiterzuentwickeln.

2022 luden wir die Community zu einem Strategieprozess ein, um die zukünftigen Schwerpunkte der Plattform gemeinsam festzulegen. Neben dem Kompetenzaufbau war das zentrale Thema, Anerkennung und Sichtbarkeit für die intensive Arbeit herzustellen, die Citizen Science in der Praxis oft bedeutet. Mit dem 2023 erstmals vergebenen Wissen der Vielen-Preis sowie einer für Sommer 2024 geplanten Expert*innendatenbank möchten wir zu dieser Wertschätzung beitragen.

Schon lange begleitete uns dabei der Eindruck, dass der Name Bürger schaffen Wissen den Ansprüchen nicht mehr ganz gerecht wird: nicht genderneutral, zu ausschließend das Wort „Bürger” im Titel – ein Thema, welches auch im Strategieprozess aufkam. So nutzten wir den Impuls und suchten in einem kollaborativen Prozess einen neuen Namen, der einen Wiedererkennungswert hat und doch inklusiver und offener wirkt. mit:forschen! Gemeinsam Wissen schaffen ist für uns einerseits die Verbindung zum vorherigen Namen, der Kern von Citizen Science und durch den Doppelpunkt gleichzeitig Ausdruck für die Vielfalt von Citizen Science, die uns auf so vielen Ebenen begegnet: Mit Forscher*innen forschen, mit Patient*innen forschen, mit Zivilgesellschaft forschen, mit sozialwissenschaftlichen Methoden forschen, mit Spaß forschen, mit App forschen… die Liste könnte endlos weitergeführt werden!

Genau diese Vielfalt, das Prozesshafte, der Austausch und die Zusammenarbeit mit so vielen engagierten Menschen, das ist für mich  - unabhängig vom Forschungsmehrwert - das größte Potential  von Citizen Science und macht die Arbeit in dem Bereich so spannend. Diese Begeisterung teile ich mit dem gesamten Team. Und so feiern wir eigentlich nicht (nur) zehn Jahre das Bestehen der Citizen-Science-Plattform, sondern vor allem mit euch gemeinsam zehn Jahre die Bestärkung einer Idee von einer anderen Form der Zusammenarbeit, nämlich des gemeinsam Wissen schaffens!


Dieser Beitrag ist Teil unserer Jubiläums-Blogreihe „Fragen für die Zukunft der Citizen Science". Hier geht es zur Übersicht der Blogreihe.

Wiebke Brink

Wiebke Brink ist Projektleiterin von mit:forschen! Gemeinsam Wissen schaffen. Sie setzt sich seit mehr als zehn Jahren in verschiedenen Projekten und Kontexten mit den Themen Partizipation und Kommunikation auseinander.