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Preisträger Dirk Knoche: „Das gemeinsame Arbeiten verändert das Bewusstsein für den Wald.”

Foto: ogm / Canva

Dr. Dirk Knoche erhielt stellvertretend für sein Team den Wissen der Vielen – Forschungspreis für Citizen Science (1. Platz) für die Publikation „Gemeinsam die Birke erforschen. Bürgerforschung zum Waldwandel“. Ohne die Beteiligung zahlreicher engagierter Bürger*innen wäre die Erforschung von Wasserhaushalt, Kohlenstoffspeicherung und Beiträgen zur Biodiversität nicht möglich gewesen.

Was zeichnet dich als Wissenschaftler aus?

Dirk: Ich glaube die Neugierde und die Leidenschaft. Man muss für das brennen, was man tut. Es ist nicht nur der Forschende in mir, sondern auch die Vielseitigkeit des ausgebildeten Försters. Im Wald und generell im Leben geht es häufig um Interessenausgleich und Kompromisse. Es hat mich immer angetrieben, Lösungen zu finden, Wissen zu vermitteln und Vorhaben umzusetzen. 

Wann ist dir Citizen Science als Methode das erste Mal begegnet?

Dirk: Das ist schon einige Jahre her. Zum ersten Mal lernte ich Citizen Science durch die „Stunde der Gartenvögel" kennen. Danach begegnete mir das Projekt „Mückenatlas". Das sind Projekte, bei denen Aufgaben gelöst werden, die die Forschenden alleine nicht bewältigen könnten und von denen alle profitieren. 

Hinter eurer prämierten Publikation steckt auch ein langjähriges Projekt. Wie lange erforscht ihr bereits die Birke?

Dirk: Wir hatten den großen Vorteil, gleich zwei vergleichbare Projekte hintereinander mit ähnlichen Fragestellungen, Methoden und Zielgruppen gefördert zu bekommen. Erst diese inhaltliche Kontinuität hat es möglich gemacht, eine „Marke“ mit eigener „Birkenforscher-Community“ über 7 Jahre hinweg aufzubauen und zu begeistern. Das hat sich sehr bezahlt gemacht. Insgesamt haben in dieser Zeit über 3000 Bürgerforschende am Projekt teilgenommen und ihre Daten eingespeist. Eine wichtige Botschaft: Bei Citizen-Science-Aktivitäten braucht es Durchhaltevermögen. 

Was haben dein Team und du in der prämierten Publikation erforscht?

Dirk: Wir beschäftigen uns mit dem Waldwandel und wichtigen ökologischen Zusammenhängen. Unsere Wälder sind stark von Klimafolgen betroffen und alle Baumarten stehen unter großem Anpassungsdruck. Hier betrachten wir beispielhaft die Gemeine Birke. Schon Wilhelm Busch sagte in seinem Gedicht: „Ein Baum zu Nutz und Freude – genannt der Birkenbaum“ – also eine vielseitige Pionier- und Mischbaumart, die in fast allen Waldgesellschaften Deutschlands vorkommt und wegen ihrer auffälligen Rinde bekannt ist. In der Forschung und Forstwirtschaft in Deutschland jedoch wurde die Gemeine Birke lange vernachlässigt und galt sogar als „Unkraut des Waldes“ beziehungsweise unerwünschte Konkurrenz. Inzwischen gewinnt sie gerade wegen ihrer hohen Biotopfunktion und Regenerationsfreude an Bedeutung – eine Gratisleistung der Natur. 

Um welche Eigenschaften der Birke ging es konkret? 

Dirk: Wir haben uns drei übergeordnete Themen ausgesucht, um Waldökosysteme in ihrer ganzen Vielschichtigkeit aus verschiedenen Blickwinkeln näher zu betrachten: Da ist zunächst die Frage des ökosystemaren Wasserhaushaltes. Denn in der Vergangenheit war man der Meinung, die Birke verbrauche zu viel Wasser. Bis zu unserem Projekt gab es jedoch keine detaillierte Untersuchung. Die haben wir dann, gemeinsam mit unseren Bürgerforschenden, umgesetzt. Das zweite Thema ist Artenvielfalt. Eine hohe ökologische Bedeutung war bereits durch einige Studien belegt. Über 120 Insektenarten sind beispielsweise nur an die Birke gebunden, der Dreizehenspecht kann nur mit ihr leben und viele Fledermausarten sind auf sie als Höhlenbaum angewiesen. Wir wollten uns nun die Strukturen genauer ansehen. Wie viele Baumhöhlen stellen Birken tatsächlich zur Verfügung und in welchem Bestandsalter? Außerdem waren auffällige Baumpilze ein wichtiges Thema, sind sie doch bedeutsame Indikatoren für ökologische Zusammenhänge. Wir konnten neben häufig verbreiteten Arten auch einige Spezies entdecken, die sehr selten und gefährdet sind. Das dritte Thema ist die Produktivität: Sie umfasst Fragen nach Holzerzeugung, Biomasse und vor allem klimawirksamer Kohlenstoffspeicherung im Wald. Das haben wir untersucht, indem wir gemeinsam mit den Citizens Scientists ganze Bäume gefällt, zerlegt, gewogen und vermessen haben. Das ist extrem aufwändig und die übliche Feldforschung kann das heute kaum mehr leisten. Es ist außerdem ein tolles Gemeinschaftserlebnis, wenn man den Wald wirklich über Tage hinweg spürt und obendrein ein wissenschaftliches Ergebnis hat.  

Wie sah die Beteiligung der Citizen Scientists aus?

Dirk: Wir haben von Anfang an mit zwei Säulen geplant. Wir brauchen einerseits einen niederschwelligen Zugang, für eine Wirkung in der Gesellschaft. Das war die Idee der „Birken-App“. Mit ihr kann jede*r Daten aufnehmen, selbstbestimmt und egal wo, sogar im eigenen Garten. Wir spiegeln die Daten über die App und die Homepage schnell an die Bürgerforschenden zurück. Das ist ganz wichtig. Sie sollen sehen, wie es voran geht. Gleichzeitig kann man mit der App und einer von uns konzipierten „Forschungskiste“ auch einfache Experimente zum Wasserverbrauch von verschiedenen Baumarten machen oder man kartiert Baumpilze und Höhlenbäume, ein Foto genügt. Die „Birken-App“ ist für alle, die eher technikaffin sind und nicht so oft im Wald sein können. Die zweite Säule ist die Präsenz vor Ort. Wir kommen jährlich mehrmals mit dem „Forschungsmobil“ vorbei und erforschen gemeinsam den dortigen Wald – themenbezogen und im Verlauf der Jahreszeiten. Wir leiten an, unterstützen und kommen ins Gespräch. Das schafft Glaubwürdigkeit, Bodenhaftung und Transparenz. 

Wie hast du vom „Wissen der Vielen“ profitiert?

Dirk: Das „Wissen der Vielen“ ist eine absolute Bereicherung! Ich habe drei Jahrzehnte in der anwendungsbezogenen Landschafts- und Waldforschung gearbeitet und unterschiedlichste Akteure kennengelernt. Dass sich aber so viele verschiedene Menschen – aus der Forschung, der Verwaltung, von Umweltvereinen, Waldbesitzer*innen und eben alle Citizen Scientists – zu einem gemeinsamen Anliegen vor Ort treffen, das ist selten. Gerade jetzt geht es darum, miteinander ins Gespräch zu kommen, weil sich die Wälder so stark verändern. Bei alledem steht immer der Wissensgewinn im Fokus. Nicht nur wir als Forschende profitieren davon, sondern alle, die sich begegnen. Das gemeinsame Arbeiten verändert das Bewusstsein für den Wald. Man forscht nicht nur, man spürt den Wald, diskutiert und tauscht sich auf Augenhöhe über objektive Ergebnisse aus. Das habe ich so noch nie erlebt –  einfach große Klasse!

Wie waren die Reaktionen auf euer Projekt?

Dirk: In der Tat hatten wir ein tolles Feedback, auch jenseits der akademischen Forschung, unter anderem von: Bürgerforschenden, Kommunen, Landesforstbetrieben, dem European Forest Institute, der Umweltjugend, Pfadfindern oder durch die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald. Die Wirkung ist breit und das freut mich sehr. In der Waldforschung wurde unser Projekt jedoch anfangs skeptisch gesehen. Warum ausgerechnet die Gemeine Birke? Ich glaube aber, dass wir durch unser Projekt zum Umdenken angeregt haben, auch weil ökologischen Prozessen bei der Waldbewirtschaftung heute mehr Beachtung geschenkt wird. Gerade bei so drängenden gesellschaftlichen Fragen wie im Klima- und Waldwandel ist es wichtig, dass die Menschen mitmachen. Sie wollen einen Beitrag leisten und gestalten. Das unterstützt die forstliche Öffentlichkeitsarbeit, dient aber auch demokratischer Teilhabe bei wichtigen Zukunftsfragen. 

Was für Herausforderungen sind euch auf dem Weg von den Erhebungen bis zur Publikation der Forschungsarbeit begegnet?

Dirk: Wir leben zweifelsohne im digitalen Zeitalter und werden mit Informationen oder Angeboten geradezu überflutet. Unser Thema bekannt zu machen war eine große Herausforderung. Wir haben es mit spielerischen Elementen und Präsenz vor Ort geschafft, Aufmerksamkeit und echte Begeisterung für ernsthafte Forschungsfragen zu wecken. Auch die App-Entwicklung war natürlich eine Herausforderung. Sie hat viele Monate gedauert, weil wir verschiedene Testläufe gemacht und Rückmeldungen der Bürgerforschenden gesammelt haben. Aber durch die Kontinuität über sieben Jahre konnten wir wirklich etwas Dauerhaftes etablieren. Diese Stetigkeit und Lebendigkeit in naturwissenschaftlichem Citizen Science ist ein unschätzbarer Vorteil, weil erst Messdaten erfasst werden müssen, die anschließend analysiert und in geeigneter Form dargestellt werden. Außerdem brauchten wir Flächenzugang zu den Wäldern, um Veranstaltungen durchzuführen. Wichtig sind passende Netzwerke, was Partner*innen vor Ort voraussetzt, die mit- und durchziehen und ihre Leute für Forschungsaufgaben mobilisieren können.

Was waren deine Highlights des Projekts?

Dirk: Kurzum – es waren nur Highlights, von der ersten Bürgerveranstaltung bis zur Preisverleihung: Man wird lebendig und es öffnen sich neue Horizonte jenseits der üblichen Schreibtischarbeit in der Forschung. Jede Vortragsveranstaltung, jedes „Bürgerlabor“, jeder Waldspaziergang waren anders.  Besonders berührt hat mich, wie offen und herzlich wir in den verschiedenen Regionen aufgenommen wurden. Dabei schätze ich die Freundlichkeit der Menschen und ihre Begeisterungsfähigkeit für ihren Wald vor Ort. Daraus sind inzwischen dauerhafte Beziehungen entstanden, die wir nebenbei für künftige Citizen-Science-Projekte nutzen und ausbauen wollen. Die Bürgerforschenden machen das alles in ihrer Freizeit, engagieren sich ehrenamtlich, kommen aus ganz unterschiedlichen Bereichen – vom Maschinenbau bis zur Polizei, jung und älter, mit Vorkenntnissen oder ohne, aus Stadt und Land. Wir haben ganze Tage bei Wind und Wetter gearbeitet, ausgehalten oder uns immer wieder bei Veranstaltungen und Exkursionen getroffen – das schweißt über die Zeit zusammen. 

Gibt es schon Ideen für die Verwendung der Preisgelder?

Dirk: Bürgerforschung ist auch im Wald keine „Eintagsfliege“. So wissen wir ganz allgemein sehr viel über die besondere landschaftsökologische Bedeutung von Wäldern, aber noch wenig im Detail über Birken-Mischwälder, die sich jetzt gerade auf wiederbewaldeten Schadflächen entwickeln. Genau da wollen wir weitermachen und eine neue Citizen-Science-Initiative starten, die untersucht, wie nach Nadelholzmonokulturen und Waldkalamitäten artenreiche, naturnahe und letztendlich klimastabilere Laubholz-Mischwälder entstehen können. Dabei interessiert uns vor allem die Waldentwicklung: Wie kann man durch gelenkte Sukzession – mit Eingriffen oder bewusst ohne – einen möglichst hohen Biotopwert erzielen? Wie erkennt man etwa frühzeitig wertvolle Anwärter für Höhlen- beziehungsweise Biotopbäume, vergleichbar mit der Förderung von Zukunftsbäumen für die Holzproduktion? Hinzu kommen aber auch offene Fragen der Klimafolgenforschung, zum Beispiel nach der Rolle von Baumpilzen, die sich in neue Wuchsregionen ausbreiten und auf Klimaveränderungen reagieren.

Leonie Malchow

Leonie ist über die Welt der Engagement- und Demokratieförderung bei der Citizen Science gelandet. Im Team ist sie für Projektmanagement und Kommunikation zuständig.